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Books and Book Editorships:

G. Steixner, M. Seidel:
"Demokratieforum Österreich";
TU Wien Institut für Architektur und Entwerfen Department Hochbau 2 Konstruktion und Entwerfen, 2014, ISBN: 978-3-9503638-2-1.



German abstract:
Die Gesamtperformance einer Gesellschaft kann daran gemessen werden, in welchem Maße sie zu einem gerecht verteilten wirtschaftlichen Wohlstand und zu einer lebensgerechten Umwelt fähig ist. Wir befinden uns rezent am Scheitelpunkt einer Entwicklung, die die sozialen und kulturellen Errungenschaften seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts radikal in Frage stellt. Architektur und Städtebau - die Gestaltung unseres Lebensraumes - darf nicht nur meist kurzfristigen Kapital- und Wirtschaftsinteressen folgen, sondern muss auch und gleichberechtigt als ökologische und nicht zuletzt als soziale und kulturelle Aufgabenstellung begriffen werden. Dazu brauchen wir breite Bildung und (Architektur-) Ausbildung. Sie sind Grundlagen für eine qualifizierte Demokratisierung vieler Lebensbereiche.

Die Architekturfakultät der Technischen Universität Wien, sie ist mit 5900 Studierenden eine der größten in Europa, erfreut sich seit Jahren eines stetigen Wachstums. Wir sind daher in der Lage, eine große Zahl der kommenden Generation mit wesentlichen Fragestellungen in Bezug auf die gebaute und zu bauende Umwelt zu befassen, im Bestreben, sie mit jener Kompetenz auszustatten, die sie befähigt, am Prozess nachhaltigen Stadt Werdens aktiv und auf Augenhöhe teilzunehmen. Bildungsziel ist dabei nicht nur die Vermittlung von fachlichen und methodischen Kenntnissen zu Fragen des Hochbaus, sondern auch die Sensibilisierung für kultur-, gesellschafts- und sozialpolitische Dimensionen des jeweiligen Entwurfsthemas.
Im Rahmen des "Studio Hochbau"- das ist eine Pflichtlehrveranstaltung im Bachelorstudium - nehmen wir diese Gelegenheit mit unterschiedlichen Themenstellungen regelmäßig wahr. Mit dem Thema DEMOKRATIEFORUM ÖSTERREICH konnten wir im WS 2013/14 450 Studierende befassen. Derzeit sind EU-weit 23% der Jugendlichen arbeitslos, Schulen und Universitäten werden zunehmend diszipliniert, die gesamte Generation schuldlos verschuldet. Im immer brutaler und hemmungsloser geführten Kampf um Ressourcen haben die Jungen immer schlechtere Karten. Das Misstrauen gegenüber der repräsentativen parlamentarischen Demokratie wächst, und mit ihm der Wunsch nach einer starken Führung. Die Möglichkeiten der Mitbestimmung und aktiven Teilhabe der Jugend an demokratischen Prozessen müssen radikal ausgeweitet werden. Dass hier Handlungsbedarf besteht, ist evident und auch im Arbeitsübereinkommen der Bundesregierung 2013 zum Kapitel Jugend nachzulesen. Es existieren viele NPOs, die sich explizit mit den Bedürfnissen der Gruppe der 14-25 Jährigen und deren demokratiepolitischen Defiziten befassen. Sie sind jedoch allesamt ortlos und daher wenig präsent. All die diesbezüglichen zahlreich bestehenden Aktivitäten und Institutionen, im Netz oder verstreut im Raum, brauchen einen gemeinsamen Rahmen, einen realen Ort, eine physische Präsenz.

Mit dem Bau des DEMOKRATIEFORUM ÖSTERREICH sollen junge Menschen die Möglichkeit erhalten, selbstverwaltet ihrer politischen Kultur öffentlichkeitswirksam Ausdruck zu verleihen. Der historisch aufgeladene, freie Raum zwischen Parlament und Justizpalast eignet sich wie kein anderer für ein solches Forum. Mit nur 3% des Budgets für den Parlamentsumbau könnte hier eine Leerstelle besetzt werden, sowohl in demokratiepolitischer, als auch in städtebaulicher Hinsicht. Für das Gebäude sollten Räumlichkeiten für Veranstaltungen und Ausstellungen, eine Bibliothek/Mediathek, sowie Arbeits- und Schulungsräume für Organisationen und Gruppen geplant werden, die aktiv den Austausch mit den parlamentarischen Gremien betreiben und, da frisch und unverbraucht, neue Impulse einbringen für die Weiterentwicklung einer sozialen Demokratie.
Die Studierenden waren ausdrücklich eingeladen, dieses Programm zu überprüfen, zu erweitern oder zu ergänzen. Sie waren aufgefordert, eine ganz persönliche Haltung zu diesem Themenkomplex zu erarbeiten und daraus einen adäquaten baulichen Ausdruck zu entwickeln. Es war sicherlich ein schwieriges Thema, da es für diese Bauaufgabe keine Vorbilder gibt, an denen sie sich orientieren konnten. Trotzdem, oder gerade deshalb, ist eine Vielzahl sehr eigenständiger Projekte von hoher Qualität entstanden.
450 studierende haben sich mit 237 Projekten an dieser Entwurfsübung beteiligt, die von Vorträgen von Manfried Welan und Hubsi Kramar begleitet wurde. Das Ergebnis spiegelt die Befindlichkeit dieser Generation wider. Nur wenige haben den Dialog mit den bestehenden Gebäuden und ihren Institutionen gesucht. Viele haben ihr Gebäude eingegraben oder Landschaft gebaut, manche haben Platz für individuellen- oder Massen- protest geschaffen. Einige haben versucht, mit bekannten Architektursprachen gegen die Übermacht des historischen Bestands anzukämpfen. Aus diesem Spektrum unterschiedlicher Herangehensweisen, Konzepte und Strategien haben wir stellvertretend 10 Projekte für diese Publikation ausgewählt. In Anbetracht der Tatsache, dass dieses Entwurfsstudio im fünften Semester zu absolvieren war, also noch in der Phase des Bachelorstudiums, sind beachtliche Ergebnisse entstanden. Dies ist nicht nur der hohen Kompetenz der insgesamt zwanzig Lehrenden - ArchitektInnen, Ingenieure und dem HB2 Team -- zuzuschreiben, sie sind auch ein Beleg für die hohe Ausbildungsqualität an unserer Fakultät.

Gerhard Steixner, Juni 2014

Created from the Publication Database of the Vienna University of Technology.